Asylpaket II
Der Asylkompromiss von 1993 war für mich bisher das niederschmetterndste politische Erlebnis in meiner Partei. Dass es der braune Mob schafft mit menschenverachtendem und gewalttätigem Auftreten die Bundesregierung aber auch die SPD dazu zu bringen, das Grundgesetz zu ändern, war für mich kaum erträglich. Das Grundgesetz und darin das Recht auf Asyl und Schutz vor Verfolgung entspringen unserer eigenen historischen Erfahrung. Viele Deutsche waren Opfer rassistischer und antisemitischer, politischer oder religiöser Verfolgung. Sie waren Flüchtlinge und Vertriebene. Diejenigen, die nicht mehr in anderen Ländern aufgenommen wurden, als diese die Grenzen schlossen, bezahlten es nur allzu oft mit ihrem Leben und dem Leben ihrer Kinder. Manche schafften es nur ihre Kinder (zum Beispiel nach England) in Sicherheit zu bringen. Andere flohen über grüne Grenzen.
Für mich gibt es drei wichtige Handlungsfelder, um den Flüchtlingen zu helfen und die Zahl derjenigen, die unter großer Gefahr zu uns fliehen, zu vermindern.
- Fluchtursachen bekämpfen:
Deutschland hat auf der Geberkonferenz für Syrien insgesamt 2,5 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt und weitere 700 Millionen Euro zur Fluchtursachenbekämpfung in den Haushalt eingestellt. Es muss uns endlich gelingen, die Flüchtlingslager in den Anrainerstaaten anständig auszustatten und die Anrainerstaaten angemessen zu unterstützen.
Unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist unermüdlich dabei, Menschen an einen Tisch zu holen, die bisher nicht miteinander reden und Geld für humanitäre und Aufbauhilfe zu sammeln. Dafür gehört ihm mein größter Respekt.
- Europäische Lösung suchen:
Es gibt nur eine Alternative zu einer europäischen Lösung und die heißt zurück in die Zeiten der europäischen Nationalstaaten mit allen Konsequenzen:
Der zivilisatorische Rückschritt für die Wertegemeinschaft Europa und der Verlust ihrer globalen Bedeutung in einer Phase, in der die Welt nach einer neuen Ordnung sucht.
Einen ökonomischen Rückschritt, der allein laut Bertelsmann Stiftung 700 Mrd. Euro nur für Deutschland bedeutet – mit allen sozialen Folgen.
Und das Ende der Freiheit, sich in Europa zu bewegen, zu arbeiten und Handel zu treiben. Das Ende des voneinander Lernens und der gemeinsamen Verantwortung in Fragen, die wir nur gemeinsam lösen können: Umwelt, Energie, Wasser, Klimawandel, …
Wir waren selber nicht solidarisch, als die Mittelmeerländer uns in der Flüchtlingsfrage um Hilfe baten. Jetzt müssen wir geduldig weiter an einer solidarischen europäischen Lösung arbeiten.
- Ordnung, Klarheit wer bezahlt und Integration:
Es ist kaum zu glauben wie lange das Innenministerium und das ihm unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge brauchten, um Ordnung und Effizienz in das Registrierungsverfahren zu bringen. Im Januar haben wir endlich einen Ankunftsnachweis eingeführt, in dem bereits bei der Erstregistrierung alle relevanten Daten erfasst werden. Doppel- und Dreifachregistrierungen, mangelnder Datenaustausch und Probleme und Betrügereien bei der Identitätsfeststellung sollten damit jetzt endlich zu Ende sein.
Mit dem Asylpaket I haben wir die Kostenbeteiligung des Bundes sichergestellt. Wir beteiligen uns mit 670 Euro pro Monat und pro Flüchtling. Darüber hinaus stellen wir 350 Millionen Euro für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zur Verfügung und stocken die Mittel für den sozialen Wohnungsbau auf 500 Millionen auf.
Bei der Abstimmung und Koordinierung zwischen Bund und Ländern ist noch Luft nach oben. Wir brauchen mehr, als Herrn Altmaier im Bundeskanzleramt. Wir brauchen eine Gemeinschaftsaufgabe Integration mit Bund, Ländern und Gemeinden.
Auch das Asylpaket I hatte schon Licht und Schatten. Mir waren die sinnvollen und notwendigen Maßnahmen so wichtig, dass ich trotz Kritik an anderen Maßnahmen diesem Paket zugestimmt habe.
Das Thema Integration muss jetzt auf die Tagesordnung. Das bedeutet eine große soziale Offensive, die alle Menschen, auch die, die schon immer oder schon lange hier leben mitnimmt. Wir müssen bauen, ausbilden und einstellen. Wir brauchen bezahlbare Wohnungen, bessere Bildung, mehr soziale Hilfe und Unterstützung. Danke an alle Ehrenamtlichen, die Orientierung geben und Stützen, an alle Unternehmerinnen und Unternehmer, Handwerkerinnen und Handwerker, die Verantwortung übernehmen und die kommunalen hauptamtlichen Flüchtlingshelferinnen und – helfer, die einen wahnsinnig guten Job machen.
Für all diese Mensch ist das Asylpaket II aber keine Hilfe. Wir hätten jetzt erst mal in Ruhe abwarten müssen, was die ersten Maßnahmen bringen und erreichen, statt Verschärfungen zu beschließen, die die Probleme nicht lösen. Die Verschärfungen bringen Angst und Verunsicherung zu den Flüchtlingen und damit auch zu den Helferinnen und Helfern. Es ist schlecht für die Integration und hilft nicht dabei, die Verfahren zu beschleunigen. Den besten Beitrag dazu leisten mehr Entscheiderinnen und Entscheider und Ordnung bei Registrierung und Verfahren. Beides haben wir bereits in Gang gesetzt.
Deswegen habe ich mich dazu entschieden, gegen das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren zu stimmen.
Der Grundtenor des Gesetzes ist leider einer, der die wenigen schwarzen Schafe in den Mittelpunkt stellt und dann aber alle Flüchtlinge in Mithaftung nimmt.
Im Einzelnen:
Ich frage mich, wie das BAMF oder das BMI mit der erhöhten Zahl der schnellen Verfahren sicherstellen will, dass den Betroffenen ein Rechtsbeistand gewährleistet ist, wie es das Bundesverfassungsgericht anmahnt. Der Deutsche Anwaltsverein betont in seiner Stellungnahme, dass es in Manching und Bamberg, wo die ersten besonderen Aufnahmeeinrichtungen (BAEs) sind, nicht genügend Rechtsanwälte gibt, um einen verfassungsrechtlich konformen Ablauf der Rechtsmitteleingabe zu gewährleisten.
Die im Gesetz beschriebenen Konditionen für die Einleitung eines beschleunigten Asylverfahrens sind für mich problematisch. Dies trifft vor allen Dingen auf den Punkt § 30 a Absatz 3 zu. Viele Flüchtlinge haben ihre Pässe auf der Flucht verloren. Dieser Absatz unterstellt jedoch allen Flüchtlingen, dass sie ihre Reisedokumente mutwillig zerstört haben. Darunter zu leiden hätten aber gerade die, die aufgrund besonders schwieriger Routen und Fluchtwege ihre Dokumente nicht mehr bei sich haben.
Weiterhin halte ich die geplante Ausweitung der Kriterien, mit denen ein Asylverfahren eingestellt werden kann, für einen Rechtsstaat nicht angemessen. So kann schon eine Verletzung der Residenzpflicht zur Einstellung führen. Ich bin, wie Amnesty International, der Meinung, dass man Verletzungen der Residenzpflicht nicht mit Untertauchen gleichsetzen kann. Auch wird im Entwurf nicht geregelt, dass der Flüchtling darüber informiert wird, welche Folgen sein Handeln auf den Ausgang des Verfahrens haben könnte.
Dasselbe gilt meines Erachtens nach für die Abschiebegründe im Gesundheitsbereich. Zum einen wird in dem Gesetzentwurf angenommen, dass sämtliche Posttraumatischen Belastungsstörungen bei Flüchtlingen vorgeschoben sind. Unsere Erfahrungen mit Menschen in Kriegsgebieten, gerade mit unseren Afghanistan-Veteranen zeigen ein anderes Bild. Diese Bagatellisierung halte ich für den gesellschaftlichen Diskurs für extrem gefährlich und der Problematik unangemessen.
Als weiteren Punkt halte ich es für falsch, wenn kranke Menschen abgeschoben werden, weil man annimmt, dass eine „ausreichende medizinische Versorgung im Zielland gewährt ist“. Dieses von hier aus für den Einzelfall zu entscheiden, halte ich in den allermeisten Fällen für unmöglich.
Als weiteres großes Problem sehe ich den Kompromiss bei der Familienzusammenführung von subsidiär Geschützten an. Ich bin der Meinung, dass vor allem unbegleitete Minderjährige die Möglichkeiten haben müssen, ihre Eltern nach zu holen. Das gebietet die Menschlichkeit.
Die bisherige Zahl der subsidiär Geschützten ist sehr gering. Somit wäre es auch der Familiennachzug. Darüber, ob es Erkenntnisse gibt, aus welchen Gründen jeweils wie viele unbegleitete Kinder nach Deutschland kommen, hat mir das Innenministerium auf Anfrage bisher keine Antwort gegeben.
Die im Gesetzentwurf aufgeführten Punkte bedienen eine gewisse Polemik. Sie unterstützen ein Bild, das nicht mehr die Flüchtlinge als Opfer und Vertriebene, als Menschen mit Biographien sieht, sondern als Problem, das uns ausnutzen und betrügen möchte.
Ich bezweifle, dass das Gesetz hilft, das eigentliche Problem zu lösen. Es wird nicht zu einer Reduzierung der Flüchtlingszahl und einer effektiven Integration der anerkannten Asylbewerberinnen und –bewerber führen. Ich bin davon überzeugt, dass es bei der Integration, gerade im Bereich unbegleiteter Minderjähriger, eher behindert und durch die Einführung beschleunigter Verfahren ein rechtsstaatliches Verfahren mit angemessen Fristen nicht garantieren kann.
Die ehrenamtlich Engagierten und hauptamtlichen Flüchtlingshelfer und Flüchtlingshelferinnen berichten mir, dass die Angst und Hilfslosigkeit, die durch unsere Ankündigung im Asylpaket II bei vielen Flüchtlingen entsteht, dazu führt, dass ihre Arbeit erschwert wird und sie es sind, die konkret mit den zusätzlichen Ängsten umgehen müssen.
Es muss aber unser Ziel sein genau die Engagierten, die wir in Sonntagsreden loben, zu entlasten. Dazu müssen wir endlich die Integration vorantreiben und dabei Klotzen und nicht Kleckern.
Zum Asylpaket II zählt auch das Gesetz zur erleichterten Ausweisung straffällig gewordener Ausländer. Dieses Gesetz unterstütze ich. Ich hoffe, dass CDU und CSU nun auch ihre Blockade gegen eine Verschärfung des Sexualstrafrechts aufgeben und unseren im Sommer eingebrachten Gesetzentwurf mittragen.
Wenn wir es gut machen, werden wir doppelt profitieren. Die Menschen, die bei uns bleiben wollen, werden produktiver Teil unserer Gesellschaft und auch ihre Kinder werden unsere Zukunft sein. Und die Menschen, die wieder zurückgehen – und das werden viele sein, wenn wir den Krieg bald zu einem Ende bringen – werden mit einem positiven Bild von Deutschland und dem Leben in Europa zurückkehren. Sie haben von uns die Ausbildung erhalten, die ihnen hilft ihr Land wieder aufzubauen. Dafür lohnt es sich, sich anzustrengen.