Rede am 18.01.2019

Rede zur Wohnkostenlücke

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wohnen ist in Deutschland ein Grundrecht. Das Wohnen gehört zu den existenziellen Gütern, es ist Teil der Daseinsvorsorge, und deswegen tragen wir eine besondere Verantwortung, Menschen gutes Wohnen zu ermöglichen.
Aber Wohnen hat neben der materiellen auch eine emotionale Seite. Die eigene Wohnung, die eigenen vier Wände, seien sie gekauft oder gemietet, geben Schutz und Sicherheit, Heimat und im wahrsten Sinne des Wortes ein Zuhause.

Nicht ohne Grund hängen viele Menschen an ihrem Elternhaus oder der Elternwohnung, obwohl sie dort schon lange nicht mehr leben. Für junge Familien ist eine neue Wohnung oft auch der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Und gerade in einer Welt, in der die Anforderungen an die Einzelnen immer größer werden, in der Weltläufigkeit, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an eine sich immer schneller drehende Welt erwartet werden, ist es umso wichtiger, Sicherheit für die existenziellen Güter, für die Dinge der Daseinsvorsorge zu gewährleisten.
Eine Wohnung zu haben, zu behalten oder eine passende Wohnung finden zu können, gibt die notwendige Sicherheit und Freiheit, sich um andere Dinge, um die wirklich wichtigen Dinge im Leben kümmern zu können.

Bezahlbares Wohnen ist die vielleicht drängendste politische Frage unserer Zeit. Sie ist eine soziale Frage für fast alle:
für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen und selbst höherer Einkommen, wenn Kinder da sind oder vielleicht nur ein Partner arbeitet, wenn Mutter oder Vater alleinerziehend sind. Wohnungssorgen begleiten einen Großteil der Menschen in Deutschland, und das nicht nur in den Ballungsräumen.
30 Prozent des Einkommens für die Wohnung auszugeben, das wird gerade noch als akzeptabel betrachtet, um vom Rest gut leben zu können. Wenn der deutschlandweite Durchschnitt bereits bei 27,2 Prozent liegt, Haushalte mit einem Einkommen schon 30 Prozent bezahlen, Alleinerziehende 32 Prozent und arme Haushalte 39 Prozent, dann sieht man: Die Not ist groß.

Und das erleben die Menschen täglich. Es fehlen Wohnungen für Studierende, für Singles, für Alleinstehende. Es fehlen Wohnungen für große Familien, barrierefreie Wohnungen für alte Menschen und Menschen mit Behinderungen. Es fehlen Wohnungen für Menschen, die auf dem Wohnungsmarkt oft auch noch Vorurteilen und Diskriminierungen ausgesetzt sind: Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit vielen Kindern oder im Sozialleistungsbezug. Es fehlen bezahlbare Wohnungen. Das Angebot passt nicht zum Bedarf. Wir machen uns auf den Weg, das zu ändern, und haben deswegen viele gute Maßnahmen beschlossen.
Wir stärken den sozialen Wohnungsbau mit 5 Milliarden Euro des Bundes bis 2021. Wir unterstützen Familien mit dem Baukindergeld. Wir fördern den Mietwohnungsneubau. Der Bund geht mit gutem Beispiel voran und schafft Wohnungen für seine Bedienstete. Ich hoffe, dass sich Länder und Unternehmen ein Beispiel daran nehmen.
Wir stärken die Mieterinnen und Mieter, wir erhöhen das Wohngeld, und wir erleichtern das Bauen.
Aus Sicht der SPD gibt es aber weiteren Handlungsbedarf über den Koalitionsvertrag hinaus. Dort, wo die Lage es erforderlich macht, benötigen wir einen Mietenstopp. Das bedeutet, dass Mieten dort, wo der Wohnungsmarkt besonders angespannt ist, fünf Jahre lang nur in der Höhe der Inflationsrate steigen dürfen.

Es ist auch erforderlich, die Rechte der Mieterinnen und Mieter weiter zu stärken. Der Eigentümer oder die Eigentümerin hat selbstverständlich das Recht, in seiner oder ihrer Wohnung zu wohnen. Zu häufig wird der Eigenbedarf aber nur vorgetäuscht, damit die Wohnungen im Anschluss teurer vermietet oder verkauft werden können. Dem müssen wir ein Ende bereiten.
Wohnen ist eine soziale Frage, die viele Menschen betrifft. Das Thema bezahlbares Wohnen wird für Menschen im Hartz-IV-Bezug oder in der Sozialhilfe dann ein Problem, wenn eine Lücke zwischen den realen Kosten ihrer Wohnung und den als angemessen betrachteten Leistungen, die Jobcenter und Sozialämter zahlen, entsteht. Das ist dann die sogenannte Wohnkostenlücke.

Sie von den Linken schreiben selber in Ihrem Antrag, dass die Wohnkostenlücke seit 2011 kleiner wird. Ich glaube, dass sie von daher nicht das drängendste Problem in wohnungspolitischen Fragen ist und vieles sich bei ordentlichem sozialen Wohnungsbau und einer Entspannung auf dem Wohnungsmarkt erledigen würde. Aber trotzdem ist auch das ein wichtiges Thema.
Herr Aumer hat es angesprochen: Die Bundesregierung hat sich dem Thema angenommen. Sie haben vielfältige Vorschläge gemacht, die Lücke zu schließen. Ich habe allerdings meine Zweifel, ob alle Vorschläge wirklich zum Ziel führen; denn etliche Vorschläge sind bereits geltendes Recht, vom Bundesozialgericht ausgelegt und in der Praxis angewandt. Die Heizkosten werden in tatsächlicher Höhe übernommen, und auch Beiträge für Mietervereinigungen werden schon heute von den Jobcentern bezahlt. Auch andere Vorschläge sind bereits in der Diskussion, zum Beispiel die Abschaffung der Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft. Wir erwarten hier ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ich komme später noch auf dieses Thema zu sprechen.

Wiederum andere Vorschläge erscheinen so nicht sinnvoll, weil sie die Einzelfallorientierung erschweren und weil sie schon ausprobiert wurden. So ist zum Beispiel aktuell eine Pauschale, wie die FDP sie vorschlägt, möglich; sie wird jedoch in der Praxis nicht umgesetzt, insbesondere da das Bundesozialgericht entschieden hat, dass für eine Satzung für eine solche Pauschale die gleichen Anforderungen gelten. Das macht es nicht einfacher.
Wenn ich in meinem Jobcenter vor Ort in Wetzlar frage, woher die Wohnkostenlücke kommt, dann ist die Antwort, dass es viele verschiedene Gründe gibt. Meistens ist der Grund, dass die Menschen eine zu große Wohnung bewohnen und deswegen eine unangemessen hohe Miete zahlen, die Wohnung aber nicht verlassen wollen. Das ist oft der Fall, wenn die Kinder ausgezogen sind. Andere zahlen lieber einen eigenen Beitrag dazu und bleiben dafür im Zentrum wohnen; denn sie wollen nicht so gerne aufs Land ziehen, was ich nicht verstehen kann.
Aber was für einen Menschen mit geringem Einkommen Realität ist, muss auch für Menschen, die von Sozialleistungen leben, zumutbar sein. Wir brauchen ein besseres Wohnungsangebot für alle.

Ich möchte zwei Punkte hervorheben, dir mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig sind. Das eine – ich habe es schon angesprochen – ist das Thema Sanktionen. Ich bin nicht dafür, sämtliche Mitwirkungspflichten für Menschen, die von Sozialleistungen leben, abzuschaffen. Es kann aber nicht sein, dass in das elementare Grundrecht Wohnen eingegriffen wird. Sanktionen in die Kosten der Unterkunft müssen abgeschafft werden.
Das andere ist zutiefst eine Gerechtigkeitsfrage. Wer vorübergehend auf den Bezug von Grundsicherung angewiesen ist, weil er oder sie den Arbeitsplatz verloren hat, muss sich trotzdem seiner Wohnung sicher sein können. Aktuell ist es möglich, dass Menschen nach sechs Monaten Leistungsbezug ihre Wohnung aufgeben müssen. Das führt zu Verunsicherung und zu Ängsten. Diesen Zeitraum müssen wir deshalb deutlich verlängern, damit den Menschen die Sorge um die Wohnung genommen wird und sie statt auf Wohnungssuche auf Arbeitsplatzsuche gehen können.

Genauso wie gilt, dass niemand wegen seiner Kinder arm werden darf, so gilt das auch für die Wohnkosten. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag die Reform des Wohngeldes beschlossen. Zusammen mit den verbesserten Leistungen für Kinder und Familien, dem sozialen Arbeitsmarkt, der Stabilisierung des Rentenniveaus, der Abschaffung des Soli für alle außer den Reichen und der Entlastung der Geringverdienenden bei den Sozialbeiträgen macht das soziale Deutschland mit uns einen großen Schritt nach vorn.

In diesem Sinne: Glück auf!