Arbeitspapier der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion

Der Sozialstaat als Partner.

Das Papier zum Download: Sozialstaatspapier der AG Arbeit und Soziales

Recht auf Arbeit – Soziale Sicherheit – der Sozialstaat als Partner.
Unsere Vision vom Sozialstaat des 21. Jahrhunderts.

Für eine solidarische Gesellschaft – der Sozialstaat der sich kümmert.

Die Sozialdemokratie steht für eine solidarische Gesellschaft, für das Eintreten von Menschen für Menschen, für ein aktives Miteinander. Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der man sich umeinander kümmert. In der niemand allein gelassen wird. Solidarität statt Ellenbogen muss wieder das zentrale Prinzip unseres Zusammenlebens werden. Der Sozialstaat ist für uns die Umsetzung von Solidarität und Verantwortung für den einzelnen in staatliches Handeln.

Unser Sozialstaat, die nach Demokratie und Freiheitsrechten größte Errungenschaft der Sozialdemokratie und der Moderne, ist in den letzten Jahrzehnten vielfältig unter Druck geraten. Von denen, die ihn im Zuge neoliberaler Globalierungsvorstellungen abschaffen wollten. Und von denen, die ihn wollen und brauchen, aber nicht die Unterstützung, nicht die Sicherheit erhalten haben, die sie erwarten. Die Globalisierung und ein finanzmarktgetriebener Kapitalismus erfordern aber einen starken und handlungsfähigen Sozialstaat.

Der Sozialstaat hat das Ziel, in einer Marktwirtschaft für soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit zu sorgen. Der Markt allein stellt keine Gerechtigkeit her und sichert allein die Lebensrisiken derer, die es sich leisten können.

Gerechtigkeit heißt auch, Chancengleichheit herzustellen und Leistung zu honorieren. Niemand darf allein gelassen werden und alle müssen einen Beitrag leisten können. Der Sozialstaat muss allen Bürgerinnen und Bürgern ein Leben in Würde ermöglichen.

Viele erleben den Sozialstaat nicht als hilfreich, sondern als bürokratisch und abgewandt. Gerade in schwierigen Lebenslagen, wenn man Unterstützung besonders nötig hat, muss man diese einfach erhalten und nicht einklagen müssen. Der Sozialstaat muss das Leben leichter machen, sich kümmern und Sicherheit geben. Wir wollen den Sozialstaat grundsätzlich reformieren und den Herausforderungen der Zeit anpassen.

Ein Sozialstaat für das 21. Jahrhundert – Was kommt nach Hartz IV?

  • Solidarität statt Ellenbogen.
    Die SPD bleibt die Sozialstaatspartei in Deutschland. Wir sehen den Sozialstaat als zentrales und umfassendes Instrument zur solidarischen Absicherung der großen Lebensrisiken und zur Unterstützung von Beschäftigten im Arbeitsleben. Risiken und Herausforderungen sind ungleich verteilt und können überraschend kommen.
    Deshalb ist die solidarische Absicherung über den Sozialstaat für uns die beste und gerechteste Form der Absicherung.
  • Leistung anerkennen.
    Wir wollen sicherstellen, dass das, was sich Menschen in einem langen Arbeitsleben hart erarbeitet haben, auch dann geschützt ist, wenn sie über längere Zeit auf die Solidarität der Gemeinschaft angewiesen sind.
  • Recht auf Arbeit statt bedingungsloses Grundeinkommen.
    Arbeit ist für uns der Schlüssel zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Grundlage unseres Sozialstaates. Die meisten Menschen wollen durch eigene Arbeit am Wohlstand teilhaben. Das unterstützen wir. Das gilt auch für Menschen mit Handicaps und Beeinträchtigungen. Und es gilt in einer sich immer stärker verändernden Arbeitswelt. Darauf wollen wir den Sozialstaat ausrichten. Wir wollen Arbeit für alle ermöglichen und ein Recht auf Arbeit schaffen. Wer arbeiten möchte, soll ein seiner Lebenslage und seiner Qualifikation entsprechendes Arbeitsangebot erhalten. Dafür stellen wir die passgenaue Unterstützung zur Verfügung (z.B. Qualifikation, Umzugshilfen, Kinderbetreuung).
  • Der Sozialstaat als Partner.
    Wir wollen einen Sozialstaat, der in unterschiedlichen Lebenslagen unterstützt, dessen Leistungen einfach zugänglich sind. Wir sehen den Sozialstaat als Partner der Beschäftigten, der Bürgerinnen und Bürger zu ihrer Unterstützung auf ihrem Lebensweg und insbesondere bei der Bewältigung besonderer Herausforderungen.
  • Das Leben leichter machen.
    Ansprüche auf sozialstaatliche Leistungen wollen wir ausgehend von den Bürgerinnen und Bürgern und ihren Unterstützungsbedarfen definieren und organisieren, nicht länger anhand bestimmter Rechtskreise. Starre Zuständigkeitsgrenzen wollen wir im Interesse der Bürgerinnen und Bürger überwinden. Sie müssen die ihnen zustehenden Leistungen einfach und ohne bürokratischen Aufwand erhalten. Und sie müssen ihre Möglichkeiten kennen. Dafür wollen wir eine Anlaufstelle für Sozial- und Familienleistungen (Teilhabezentren) und eine Anlaufstelle für die Sozialversicherungen (gemeinsame Servicestellen) schaffen.
  • Menschen machen den Sozialstaat.
    Sozialstaat bedeutet finanzielle Leistungen, vor allem aber die Unterstützung von Menschen durch Menschen. Für uns kommt es darauf an, dass diese Unterstützung mit großer Qualität, Offenheit und Empathie erbracht wird. Dazu bedarf es verbesserter Rahmenbedingungen und einer größeren Wertschätzung für die soziale Arbeit und diejenigen, die sie leisten.

Sicherheit und Unterstützung im Arbeitsleben – gemeinsame Servicestellen

  • Sicherheit im Wandel.
    Wir werden die Veränderungen in der Arbeitswelt durch neue Technologien nicht aufhalten oder zurückdrängen können. Die politische Aufgabe besteht darin, sie im Sinne der Beschäftigten zu gestalten – gemeinsam mit den Sozialpartnern.
    Auch durch die Digitalisierung wird uns die Arbeit nicht ausgehen, sie wird sich aber stark und immer schneller verändern. Dabei müssen und wollen wir die Beschäftigten unterstützen. Die zunehmende Ausdifferenzierung von Erwerbsformen verlangt eine solche soziale Absicherung nicht nur für klassische Formen der abhängigen Beschäftigung. Wir wollen soziale Sicherung auch für Selbständige und kurzfristig Beschäftigte sicherstellen.
  • Sozialstaat als Partner.
    Neben der Absicherung der großen Lebensrisiken wird die Unterstützung und Begleitung der Beschäftigten im Arbeitsleben entlang der Anforderungen unterschiedlicher Lebensphasen immer wichtiger. Dies gilt insbesondere für die Aspekte Qualifizierung, Work-Live-Balance und Gesundheit. Den Sozialversicherungen kommt dabei eine besondere Rolle zu. Wir wollen eine umfassende Beratung, Begleitung und Unterstützung der Beschäftigten durch die unterschiedlichen Träger der Sozialversicherung während des Arbeitslebens sicherstellen.
  • Das Leben leichter machen.
    Zugänge zu Leistungen der Sozialversicherungen wollen wir erleichtern und Leistungen der unterschiedlichen Zweige der Sozialversicherung besser aufeinander abstimmen. Hierzu muss es gemeinsame Anlauf- und Servicestellen von Renten-, Arbeits- Unfall- und Krankenversicherung geben, die Leistungen wie aus einer Hand erbringen. Dabei wollen wir auch aktiv auf Unternehmen und Beschäftigte zugehen.
  • Lernen muss sich lohnen.
    Mit einer solchen Politik wollen wir Arbeitslosigkeit möglichst präventiv verhindern. Tritt sie dennoch ein, sollen möglichst schnell Qualifizierungsangebote gemacht werden. Zeiten der Qualifizierung sollen durch ein spezielles Qualifizierungsarbeitslosengeld (Arbeitslosengeld-Q) unschädlich für den Bezug des Arbeitslosengeldes sein. Transfergesellschaften sind für uns ein wichtiges Instrument zur Bewältigung des Strukturwandels (z.B. in Braunkohleregionen).
  • Chancengleichheit herstellen.
    Um Risiken im Erwerbsverlauf abzufedern, Veränderungen und Weiterbildung zu ermöglichen, wollen wir ein individuelles Chancenkonto für jede Bürgerin und jeden Bürger einführen. Nicht nur reiche Erben sollen mit einem Gefühl der Sicherheit und Flexibilität ins Erwerbsleben starten und Mut für Veränderungen haben können.

Umfassende soziale Beratung und Unterstützung vor Ort – Teilhabezentren

  • Armut nachhaltig bekämpfen.
    Armut und Perspektivlosigkeit wollen wir überwinden. Beides darf in unserer reichen Gesellschaft keinen Platz haben. Wir wollen deshalb Teilhabe durch Arbeit auch dann ermöglichen, wenn es schwierig ist und viele Hindernisse zu überwinden sind.
    Niemand darf wegen zu hoher Mieten oder seiner Kinder arm werden. Kinder die unter schwierigeren Bedingungen aufwachsen wollen wir gleiche Chancen im Leben eröffnen. Hierzu bedarf es angemessener Leistungen einer Kindergrundsicherung und eine gute und umfassende Unterstützungsinfrastruktur vor Ort. Das gilt auch für ältere und kranke Menschen. Unterschiedliche Leistungen und Angebote müssen gemeinsam, vernetzt vor Ort und leicht zugänglich erbracht werden. Dies muss der Bund gemeinsam mit den Kommunen sicherstellen.
  • Hilfen wie aus einer Hand.
    Die Jobcenter wollen wir zu umfassenden sozialen Beratungs- und Unterstützungsstellen vor Ort (Teilhabezentren) weiterentwickeln. Alle individuellen Unterstützungs- und alle Familienleistungen sollen dort gebündelt werden. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen die Unterstützung bekommen, die notwendig ist, um Teilhabe durch Arbeit sicherzustellen, unabhängig davon, welchem Rechtskreis eine Leistung zugeordnet ist oder welche Ebene (Bund, Länder, Kommunen) die Finanzierungsverantwortung trägt. Das gilt auch für die Sicherstellung gesellschaftlicher Teilhabe für diejenigen, die ihre Lebenssituation nicht aus eigener Kraft verbessern können wie Kinder, Alte und Kranke.
  • Ganzheitliche Unterstützung.
    Wir wollen einen Kulturwandel schaffen: Menschen, die arbeitslos sind und Hilfe benötigen, müssen eine individuelle und ganzheitliche Unterstützung erhalten. Teilhabestrategien müssen gemeinsam mit den Betroffenen auf Augenhöhe erarbeitet und umgesetzt werden. Menschen, die Unterstützung benötigen, müssen auf die Teilhabezentren als verlässlichen Partner zählen können. Wir wollen die rechtlichen, finanziellen und personellen Rahmenbedingungen schaffen, damit die Teilhabezentren in der Lage sind, eine individuelle und umfassende Unterstützung leisten zu können.
  • Perspektive statt Sanktion.
    Zu einem solchen Kulturwandel gehört auch ein deutlich verändertes Sanktionsrecht: Vereinbarungen auf Augenhöhe bestehen immer aus Rechten und Pflichten für beide Seiten. Werden entsprechende Vereinbarungen ohne triftigen Grund nicht eingehalten, so muss dies auch sanktionierbar sein. Sanktionen müssen jedoch zurückgenommen werden können und dürfen nicht zu Obdachlosigkeit führen. Ein verschärftes Sanktionsrecht für Jugendliche ist durch nichts zu rechtfertigen. Gerade junge Menschen brauchen Perspektiven, Unterstützung und Motivation.
  • Arbeit ist für alle da.
    Wir wollen möglichst vielen Menschen Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt ermöglichen – auch bei Handicaps oder schweren Vermittlungshemmnissen. Hierzu müssen unterschiedliche Förderinstrumente gebündelt werden. Wege der Integration können je nach Ausgangslage und in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen kürzer oder länger sein. Für Menschen, die trotz bester Unterstützung keine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, wollen wir sinnvolle öffentlich finanzierte Tätigkeiten im Rahmen eines sozialen Arbeitsmarktes – falls nötig auch dauerhaft – anbieten.

Abgeordnete der Arbeitsgruppe

  • Kerstin Tack
  • Martin Rosemann
  • Dagmar Schmidt
  • Matthias Bartke
  • Michael Gerdes
  • Angelika Glöckner
  • Gabriele Hiller-Ohm
  • Ralf Kapschack
  • Daniela Kolbe
  • Bernd Rützel